„Gibt es eine Wahrhaftigkeit der Stimme. Wahrhaftiger als Bilder und Text ist die Stimme nicht leicht zu beherrschen, zu kontrollieren, zu steuern, zu verstellen. Stimme, Mimik, Gestik sind leibhaftige Zeugnisse, Ausdruck von Erlebtem und Erfahrenem – und doch nicht gelenkt authentisch und anschaulich zu dokumentieren. Rainer Lind ist sich sicher, dass Bilder geduldiger sind als Klänge und Tonfall von Sprache. Sprache bleibt ehrlicher, verräterischer: die strenge bildliche Sprache verdankt er seiner künstlerischen Herkunft als Portraitmaler.
In Interviews portraitierte Lind drei ehemalige Bürger der DDR . Immer wieder geht es um Grenzübertritt und Grenzerfahrung: Hartmut Richter wurde als Fluchthelfer mit 18 Jahren verhafte, Joe Sachse, Gitarrist, ausgestattet mit 4 Reisepässen, durfte als Jazzgitarrist schon zu DDR-Zeiten in ganz Europa konzertieren. Friedrich Sieber wächst auf in Dresden. 1989 (!), nachdem die Behörden sein Ausreiseanträge abgelehnt hatten, floh er über die Tschechoslowakei nach Ungarn in die westdeutsche Botschaft in Budapest. Zu diesem Zeitpunkt war es für ihn völlig unklar, ob er im Gefängnis in Bautzen oder in Westdeutschland landen wird.
Alle drei verbindet auf unterschiedliche Weise die Mauer zwischen der DDR und BRD. Rainer Linds besondere Art der Interviewführung lenkt auf das Wesen der Personen: das lateinische Verb personare heißt auch erschallen, widerhallen. Seufzen, Pausen, Lachen, Stocken, Untertöne – die Konzentration auch auf semantische Details in den Interviews offenbaren die Wesenstiefe von Joe Sachse, Friedrich Sieber und Hartmut Richter
Heute lebt Hartmut Richter in Berlin, Friedrich Sieber in Darmstadt. Joe Sachse, dem es erlaubt war, die Grenze der DDR schon immer beruflich zu überwinden, lebt in Chemnitz.“ Rainer Lind, 2021
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